Gleichberechtigung

 

Die U-Bahn ist voll, dennoch gönnt die Frau mir gegenüber ihrem kleinen Schoßhund einen separaten Platz auf der Sitzbank. Der kleine räkelt sich behaglich und legt sich gelangweilt hin.

 

Der hat es gut, denke ich, während ich meine schwere Tasche auf dem Schoß zusammendrücke und mich schmal mache, damit ich die beiden breitbeinig sitzenden Herren zu meiner linken und rechten Seite so wenig wie möglich berühre. Die beiden scheint das allerding nicht zu stören, denn sie sind durch ihre Smartphones abgelenkt.

 

Nicht abgelenkt ist allerdings der junge Araber, der neben der Frau mit dem Hündchen sitzt. Genau wie ich beobachtet er erstaunt, wie die Frau ab und an etwas Weichgekautes aus ihrem Mund nimmt, um es in das Maul des Hündchens zu stecken. Nachdem sie sich danach ihre Finger abschleckt, zieht sie einen roten Fächer aus ihrer Tasche. Ja, wir schwitzen heute wohl alle in diesem warmen U-Bahn-Waggon. Das gilt auch für das satt gefütterte Hündchen, das Nutznießer des Fächers wird. Die Frau verzichtet gern und fächelt ihrem pelzigen Gefährten die Luft zu.

 

Da schaut mich der junge Araber mit seinen schwarzen Augen fragend an. Ja, denke ich, bei uns herrscht eben Gleichberechtigung. Nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern manchmal auch zwischen Mensch und Tier.

 

Der junge Araber muss sicher noch eine Menge über das Leben in unserer Stadt lernen.

 

EvN 06/2016

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