Frühe Entscheidung

 

„Tee oder Kakao? Ein großes oder ein kleines Glas? Magst du lieber auf diesem oder auf jenem Stuhl sitzen? ...“ Es ist nicht etwa der um seine Kundschaft besorgte Kellner, der die Fragen stellt, sondern ein etwa dreißigjähriges Ehepaar, das seine dreijährige Tochter zum Frühstück ausführt.

 

So wird die liebe Kleine bereits jetzt auf das Treffen von Entscheidungen vorbereitet.

 

Auch ich kenne die Situation. Mein umherschweifender Blick beim Betreten des Cafés. Wo setze ich mich hin? Am Fenster, wo es zum Lesen am hellsten ist, ich mich aber wie ein Ausstellungsstück im Schaufenster fühle? Oder lieber ganz hinten, wo ich meine Ruhe habe und alles gut beobachten kann? Aber der Platz ist dunkel und liegt gleich neben den Toiletten. Kaum habe ich einen Platz gewählt, fordert der Kellner schon meine zweite Entscheidung bei der Wahl der Getränke.

 

Oh ich bedauere das kleine Mädchen am Nachbartisch. Wie gut hatten wir es doch, als unsere Eltern für uns die Entscheidungen trafen. Wir wurden auf einen Stuhl gesetzt, bekamen einen Tee und waren zufrieden. Mir wäre damals nie in den Sinn gekommen, meine Eltern würden die falsche Entscheidung für mich treffen.

Nun, der Preis ist wohl, dass ich mich heute dreimal umsetze, bevor ich im Café den richtigen Platz gefunden habe.

 

EvN

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