Käufliche Entspannung

 

Der leichte Windhauch streichelt die nackte Haut ihrer Schulter, die das weiße Kleid freigibt, während die süße Schärfe des Cocktails auf ihrer Zunge prickelt. Entspannt lehnt sie in dem gelb-weiß-gestreiften Liegestuhl, sieht die Sonnenstrahlen auf den Wellen tanzen, auf denen sich die Möwen schaukeln lassen und hört die Gischt, die zischend auf sie zurollt, bevor sie doch nur am Strand züngelt und sich schmollend ins Meer zurück zieht.

 

Gerade als ihre Lungen sich voll der wohltuenden Salzluft gesogen haben, weichen Sonne und Meer dem leeren Schwarz der Leinwand und legt sich die leichte Prise.

 

So langsam es ihr nur möglich ist, atmet sie die angenehme Meeresluft aus, reckt sich gähnend, während sich ihre Augen an das grelle Licht der Neonröhre gewöhnen, und trinkt hastig den letzten Schluck ihres Drinks, bevor sie den kleinen Raum durch die schmale Tür verlässt.

 

„Dreißig Minuten Süden, ein Caipirinha, macht 18,50 Euro.“ Sie legt der gelangweilten Blondine das Geld auf den Tresen und zieht ihre Jacke über. Ohne sich zu verabschieden, tritt sie lächelnd in den dunklen Novemberabend. Ihre eigene Stimme würde ihr die Bilder von Sonne, Strand und Meer nur zerstören.

 

Hinter dem Regenschleier blinkt die Werbetafel mit grellen, pinkfarbenen Leuchtbuchstaben: „Wir erfüllen Ihre Urlaubsträume – ab 10,00 Euro“.

 

In der nächsten Woche wird sie sich vielleicht wieder für das Alpenpanorama entscheiden; dieses mag sie besonders im Frühlingsmodus.

 

EvN

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