Am Flughafen
Sie sitzt auf einem dieser grauen Metallsitze und beobachtet das morgendliche Erwachen des Terminals, während ihr Mann die Neuigkeiten der unruhigen Welt kommentiert. Die Zeitung hat ihm der freundliche Mitarbeiter des noch geschlossenen Serviceschalters geschenkt.
Noch wirkt der Flughafen verschlafen, wie eben erst aufgewacht. Noch reibt er sich den Schlafsand aus den Augen und reckt sich dem neuen Tag entgegen.
Von ihrem Platz aus studiert sie die Getränkepreise auf dem Schild, das vor dem Stand gegenüber steht. Eine heiße Schokolade: 4,10 €, ein Kaffee: 3,60 €. „Gut dass wir unseren Kaffee mithaben.“ denkt sie und gießt einen Schluck aus der abgenutzten Thermoskanne in den Becher in ihrer Hand. Der Mann hinter dem Getränkestand scheint sich über seinen ersten Gast zu freuen, der sich gerade einen Kaffee bestellt.
Waren es anfangs noch sehr wenige, vereinzelte Personen, die müde durch die Gänge schlurften, nimmt die Zahl derer jetzt zu, die sich ihren Koffer hinter sich herziehend nach dem Gate umsehen, an dem sie ihrem Ziel ein Stück näher sind.
Wie immer, wenn sie mit ihrem Mann am Flughafen sitzt, stellt sie sich den Anlass der Reise vor, aus dem die Menschen hier auf ihren Abflug warten.
Vielleicht fliegt die junge Frau im Kostüm zu einem Vorstellungsgespräch in einer großen Bankfiliale. Ob die zwei kleinen Mädchen mit ihren Eltern auf dem Weg in den Urlaub sind? Es wäre auch möglich, dass sie am Ende ihrer Reise freudig von ihren Großeltern empfangen werden.
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie sich selbst wartend vor der großen Glastür sieht, aus der ihr Sohn mit seiner kleinen Tochter tritt. Fast ein Jahr ist es nun her, seit sie die beiden das letzte Mal sah. An manchen Tagen schmerzt sie die Entfernung zu ihrem Sohn, auch wenn sie weiß, dass er mit seiner Familie in seiner neuen Heimat glücklich ist.
Ihr Mann, der gerade die Zeitung zusammenfaltet, reißt sie aus ihren Gedanken. „Lass uns wieder nach Hause fahren.“ sagt er. „Der Bus geht in 10 Minuten.“ Mit einem sanften Nicken lächelt sie ihn an, bevor sie sich noch einmal umsieht und aufsteht.
Vielleicht kommt sie ja bald wieder mit ihrem Mann hierher. Auch wenn sie wegen seines Herzfehlers schon seit Jahren nicht mehr verreisen, so atmen sie doch hin und wieder am Flughafen den Duft der großen weiten Welt.
Und wer weiß, vielleicht tritt ja bei ihrem nächsten Besuch hier wieder einmal ihr Sohn mit seiner Familie durch die große Glastür.
EvN